Leserbriefe 4.0: Was kann Künstliche Intelligenz?

Hands of robot and human touching on global virtual network connection future interface. Artificial intelligence technology concept.

Kerstin Walkert
Kerstin Walker, veröffentlicht am 25. Juni 2019
Manager Corporate Communications / redaktionelle Leitung Bauer Media Blog

Künstliche Intelligenz ist längst in den Medienhäusern angekommen. Auch bei Bauer werden verschiedene Szenarien durchgespielt, aktuell im #InnoLab2, der Kreativschmiede des Hauses. Warum KI kein Job-Killer ist, sondern hilft, Kreativität zu entfalten, wissen Daniel Härtnagel, Chefredakteur der Onlineplattform Wunderweib und Dr. Benjamin Kreck, CTO bei Microsoft.

Spielberichte über die Fußballbundesligaspiele, Texte für Immobilien-Anzeigen, technische Gebrauchsanweisungen und sogar Wettervorhersagen –Textroboter generieren längst Beiträge, die nicht nach Maschinensprache klingen, sondern nach verständlichem, sprachlich korrektem Deutsch.

Feiern wir eine KI-Euphorie, und: Werden Journalisten irgendwann überflüssig? Kaum, denn sprachliche Kreativität, ein individueller Schreibstil und emotionale Intelligenz sind für Computer nach wie vor unerreichbar. Die Aufgabenbereiche für Textroboter sind überschaubar und obwohl die journalistische Kompetenz von Künstlicher Intelligenz begrenzt ist – laut Wunderweib-Chefredakteur Daniel Härtnagel und dem Microsoft-Experten Dr. Benjamin Kreck ist sie ein Kreativitätsförderer.

Benjamin, warum ist Künstliche Intelligenz der aktuelle Hype?

Benjamin Kreck: KI erfährt das aktuelle Momentum, weil heute drei wesentliche Faktoren aufeinandertreffen: Einmal haben wir es mit einer exponentiellen Datenexplosion zu tun. Nie zuvor wurden so viele Daten erzeugt, verbreitet und verarbeitet. Diese Datenmasse trifft auf moderne Cloud-Technologien, dank derer jeder heute flexibel auf hoch spezialisierte Rechenleistung zurückgreifen kann. Als dritten Faktor beobachten wir extrem viele sogenannte „Breakthroughs in Intelligence“, tiefgreifende algorithmische Errungenschaften. Das Zusammentreffen dieser drei Bereiche schafft unglaublich viele Potentiale.

Schlagwort Big Data: Ein Textroboter kann keine Ereignisse einordnen, aber Unmengen von Daten filtern und Zusammenhänge herstellen: Daniel, wie genau funktioniert computergenerierter Journalismus?

Wenn man in den Redaktionen über KI spricht, gehen oft die Alarmglocken an: Dabei wissen wir bei Wunderweib dank KI, welche Themengebiete sich anbieten, um sie zu optimieren. Künstliche Intelligenz hilft uns, Inhalte zu verbessern und User besser anzusprechen. Sie misst die Textqualität, den Aufbau und die Struktur. Wann ist ein Text zu lang, wann zu kurz? Dieses Wissen hilft in Bezug auf die Absprungrate, da entscheiden wir oft noch nach Bauchgefühl. Dank KI gewinnen wir verlässliche Daten, die uns diese Entscheidungen erleichtern. Weil die Aufgabengebiete eines Redakteurs heute unheimlich vielfältig sind, ist KI DIE Chance, dank der wir verschiedene Bereiche optimieren können: Das gilt für die Quellen- und Bildrecherche ebenso wie für die SEO-Optimierung.

Noch hat die Künstliche Intelligenz Grenzen und Maschinen können nicht denken. Wird sich das in Zukunft ändern?

Benjamin: Maschinen können sogar extrem gut denken, sie brauchen allerdings den Menschen, der ihnen das Denken initial beibringt. KI entfaltet nur dann ihr volles Potenzial, wenn der Mensch die Maschine mit den für die jeweilige Fragestellung relevanten Informationen versorgt. Auf eine klar abgesteckte Fragestellung kann die Maschine, nachdem sie auf diese austrainiert wurde, perfekt reagieren. Dagegen haben wir als Menschen neben Emotionalität und Kreativität die besondere Fähigkeit, neue Dinge selbstständig zu lernen und unser Wissen täglich zu erweitern.

Technologie treibt jede Industrie – auch das Publishing Business

Benjamin, wo liegen die Chancen für das gesamte Publishingbusiness, wo die Herausforderungen?

Dank KI können sich Publisher auf das konzentrieren, was ihren Beruf einzigartig macht: Kreativität. Vieles, was heute noch mühsam über die Bildersuche läuft, wird eines Tages mithilfe von Künstlicher Intelligenz erledigt werden.

Diese erkennt Zusammenhänge und filtert exakte Ergebnisse heraus, zum Beispiel anhand von gelernten Merkmalen in Gesichtern, die Emotionen ausdrücken. Du suchst ein Foto, auf dem ein bestimmter Promi, der bei einem Event war, lächelt und mit einer anderen wichtigen Persönlichkeit zusammensteht? Bingo -– KI kann diese Infos einem Bild entnehmen. Das spart enorm viel Zeit, die Journalisten in ihre eigentliche Aufgabe fließen lassen können: Gute Themen und Aufhänger recherchieren, schreiben, redigieren. Ich bin überzeugt, die wirklich große Herausforderung beim Ausschöpfen des vollen Potentials von KI liegt darin, die kulturellen Voraussetzungen in einem Unternehmen zu schaffen, die Geschwindigkeit des technologischen Wandels mitzugehen und agil zu arbeiten.

Daniel, wo würdest Du Dir schon heute den Einsatz von KI wünschen?

Die Bildrecherche ist aufwändig, frisst viel Zeit und ist gleichzeitig sehr wichtig. Das bestmögliche Bild macht zu 50 Prozent den Erfolg eines Beitrags aus, ebenso wie die Headline. Wenn wir KI in diesen Bereichen einsetzen könnten, wäre das großartig. Das Gleiche gilt für die Bearbeitung von Verlinkungen, die ebenfalls recherchiert werden müssen und Zeit kosten: KI bedeutet DIE Chance um mehr kreativen Raum zu gewinnen, weil sie andere zeitintensive Aufgaben übernimmt. Gleichzeitig kann KI sämtliche Fragen erfassen, die Leser zu bestimmten Texten und Themen haben. Sie könnte diese in eine neue, optimierte Textversion einfließen lassen und auch damit würden wir Zeit sparen, weil wir alle Wunderweib-Texte regelmäßig aktualisieren. Da jeder von uns immer viel mehr Ideen hat, als er umsetzen kann, können wir mit Unterstützung von KI endlich mehr Zeit gewinnen.

Müssen wir damit rechnen, dass „echte Journalisten“ aus Fleisch und Blut in absehbarer Zeit von KI ersetzt werden?

Benjamin: KI sägt nicht an den Stühlen der Redakteurinnen und Redakteure, im Gegenteil. Sie erleichtert es Journalisten, ihr riesiges Aufgabenspektrum zu erledigen und die wichtigsten Fähigkeiten, die echte Journalisten mitbringen, werden auch in absehbarer Zukunft nicht von Maschinen übernommen. Sie werden nicht in der Lage sein, emotionale Intelligenz und Kreativität mitzubringen und ein emotionales Produkt wie Wunderweib mit Content zu füllen. Doch eine Maschine kann Journalisten Zeit verschaffen, die sie für ihre kreativen Aufgaben brauchen – beispielsweise, um mehr kreative Inhalte zu schaffen. So konzentrieren sich Mensch und Maschine auf Ihre jeweiligen Stärken. Ändern würde sich das nur, wenn sich der Mensch irgendwann dahin entwickelt, kein Interesse mehr an emotionalem Content zu haben – das ist aber wohl mehr als unwahrscheinlich.

„Der Anspruch der User ist in den letzten Jahren unheimlich gestiegen, alles ist schon einmal geschrieben worden. Da noch einen Draufzusetzen ist jeden Tag wieder eine Herausforderung!“

Daniel Härtnagel, Chefredakteur Wunderweib

Daniel: Bloomberg News generiert mittlerweile 30 Prozent seiner Beiträge über KI. Was halten Sie als Vollblutjournalist von diesen Zahlen?

Sie machen Sinn und bestätigen das, was wir eingangs erwähnt haben. Wenn es wie beim Finanz- und Nachrichtendienst Bloomberg um die objektive Wiedergabe von Daten und Fakten geht, ist KI sinnvoll, weil sie auch in diesem Bereich Chancen bietet, mehr Zeit für subjektive Analysen und Recherchen zu haben.

Benjamin, im #InnoLab2 der Bauer Media Group coachen Sie die Teilnehmer auf dem Gebiet Künstliche Intelligenz. Bei dem Event stellen diese sich anschließend die Frage, wie Bauer KI für neue Geschäftsfelder nutzen kann. Wenn Du einen Blick in die Glaskugel werfen könntest: Welche smarten Ideen siehst du?

Ein paar haben wir skizziert. Spannend ist auch die Frage, wie Magazine und Onlineportale Leser gewinnen und an ihre Marke binden können. Jeder von uns wird heute von einer Flut an Informationen überschwemmt. Gleichzeitig haben wir immer weniger Zeit, diese Infos zu selektieren, aufzunehmen und zu lesen. Interessant wäre, wenn wir Menschen über intelligente Applikationen, die mittels KI eine Brücke zur Kundenbindung schlagen – erreichen könnten. Beispielsweise, indem Wunderweib-Fans ausgewählte Fotos von ihren Lebenswelten an Eure Redaktion schicken. KI interpretiert die Bilder und gibt so Wunderweib einen Echtzeit-Einblick zu den Interessen Ihrer Community. Ein Loyalty-Konzept könnte hierfür ein passender Treiber sein. Damit verknüpft wird für die Teilnehmer Content kostenlos freigeschaltet. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Redaktion bekommt kuratierte Infos und taucht in die Themenwelten der User ein, und das mit nur wenigen Klicks. Diese Form der Userbindung ist unmittelbar und unschlagbar, quasi der Leserbrief 4.0.

Wunderweib-Chefredakteur Daniel Härtnagel (li.) im Gespräch mit Dr. Benjamin Kreck, CTO bei Microsoft

Daniel Härtnagel hat vor sechs Jahren bei Wunderweib als Chefredakteur angefangen und leitet das größte Frauenportal Deutschlands mittlerweile zusammen mit Chefredakteurin Carla Quick. Von ehemals rund 3,5 Millionen Visits im Monat schnellte die Seite zu einem Rekordhoch im April dieses Jahres (Die Besucherzahlen lagen erstmals bei 38 Millionen Visits). Im Juli feiert Wunderweib 10-Jähriges Jubiläum: Das Portal verfügt über einen Gesamtcontent von rund 10.000 Artikeln.

Dr. Benjamin Kreck ist Mathematiker und fest davon überzeugt, dass man Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind (A. Einstein). In seiner Rolle als CTO Intelligent Cloud bei Microsoft unterstützt er mit seinem Team Kunden unterschiedlicher Industrien dabei, digitale Potentiale durch ein passendes Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine zu generieren.

Das Interview mit Dr. Benjamin Kreck und dem Wunderweib-Chefredakteur Daniel Härtnagel führte Kerstin Walker.

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