„Wir Medienmacher haben mehr Vertrauen in unsere Vorurteile, als in unsere Neugier. Dies ist ein Grund für die Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus!“

Kerstin Walkert
Kerstin Walker, veröffentlicht am 5. Dezember 2019
Manager Corporate Communications / redaktionelle Leitung Bauer Media Blog

Hörzu sei eine abgehalfterte Marke für Spießer. Die Bauer-Titel tina, bella und Laura bespöttelte Lead Academy-Chef Markus Peichl noch vor wenigen Jahren als Tick, Trick und Track. Mit der diesjährigen Nominierung in der Kategorie Magazin Popular gehören die Chefredakteure dieser Magazine zur Riege der besten Blattmacher. „Woher der Sinneswandel?“, wollten wir von Markus Peichl wissen.
Von Kerstin Walker und Andreas Wrede

Am 9. Dezember zeichnet die Lead Academy in Hamburg erneut die Blattmacher-Persönlichkeiten des Jahres in sechs Print- und zwei Online-Kategorien aus.

Das im vergangenen Jahr veränderte Kategorisierungssystem soll sicherstellen, dass künftig alle Bereiche der Printbranche bei der Preisvergabe berücksichtigt werden, auch Massen- und Mainstreamtitel: „Die Vielfalt der deutschen Magazin- und Zeitungslandschaft wird dadurch noch besser abgebildet und alle kreativen Leistungen gewürdigt”, so Markus Peichl.

Markus Peichl ist Journalist, Österreicher und gründete vor mehr als 30 Jahren das Magazin Tempo. Heute leitet er eine Galerie in Berlin mit Dependance in Wien und ist seit vielen Jahren Vorsitzender der Lead Academy. Diese ehrt mit der jungen Kategorie Magazin Popular bereits zum zweiten Mal die besten Chefredakteure mit den Lead Awards in Gold, Silber und Bronze.
Warum die Blattmacher von tina, Super Illu und Hörzu zu den Lead Award-Anwärtern zählen – eine Nominierung, über die wir uns sehr freuen – verrät Markus Peichl im Interview.

Markus Peichl, die Kategorien der Lead Awards wechselten zuletzt häufiger: Vor Jahren wurden neben Medien- auch Fotografie-Auszeichnungen vergeben. 2018 hat die Jury erstmals die besten Blattmacher des Jahres in der Kategorie Magazin Popular gewürdigt. Wie war die Resonanz?

Markus Peichl: Das Kategorisierungssystem bei den Lead Awards war ursprünglich auf Gestaltung, Konzeption und Visualität ausgerichtet. Vor zwei Jahren entschieden wir, dass angesichts der dramatischen Veränderungen in unserer Gesellschaft beziehungsweise auf der Welt die drei genannten Hauptstellschrauben allein nicht mehr greifen. Medien werden attackiert. Spaltung und Unversöhnlichkeit machen sich in der Gesellschaft breit, getrieben von rechtspopulistischen Kräften. Wir stellen deshalb die Inhalte der Medien mehr in den Vordergrund und machen gleichzeitig die Menschen hinter den Titeln sichtbar. Ein Experiment, das war uns klar – aber eines mit positivem Feedback. Wir verfolgen diesen Weg weiter.

Alle Fotos © LeadAcademy für Medien / Lucie Marsmann

Warum die Kategorien Magazin Popular und Magazin Lifestyle?

Wir wollen nicht nur die Blätter und Webmagazine auszeichnen, die man als „Leitmedien“ bezeichnet, sondern das gesamte Medienspektrum abbilden. Vorreiter braucht und gibt es überall. Nachdem wir mit zahlreichen Medienwissenschaftlern und Experten gesprochen haben, wurden die neuen Kategorisierungen ausgearbeitet. Im Prinzip sind doch alle Blätter gleich gefordert: Sie müssen gut und kreativ gemacht sein, damit sie ihre Leser, ihre Zielgruppen erreichen. Und sie sind alle in der Pflicht, am Erhalt der Demokratie mitzuwirken und die Gesellschaft wieder zusammen zu führen. Diese Kriterien finden sich in allen Lead Awards-Kategorien – es ist egal, welche es am Ende ist.

Markus Peichl ist Vorstandsvorsitzender der LeadAcademy; Foto © LeadAcademy für Medien / Lucie Marsmann

Mit den Lead Awards beleuchten Sie neuerdings die Popular-Titel der Branche. Warum sind diese nicht nur unterhaltend, sondern relevant?

Diese Medien richten sich auch an Milieus, die sich selbst als benachteiligt empfinden und die man gerne als „abgehängt“ bezeichnet. Sie erreichen diese Menschen noch. Deshalb sollten wir akzeptieren, dass es unterschiedliche Formen der journalistischen Ansprache gibt. Ähnlich verhält es sich mit regionalen Tageszeitungen, die teilweise Zielgruppen erreichen, die sich etwa von der Digitalisierung überfordert fühlen. Da haben die Popular-Titel und Regional-Tageszeitungen eine Brückenfunktion. In den Jury-Sitzungen haben wir anfangs festgestellt: Journalisten, die in den Leadership-Medien arbeiten, schauen sich Popular- oder Lifestyle-Titel oft nicht an. Da rümpft man gern mal die Nase – bei Titeln wie etwa tina, bella oder Laura, obwohl diese Magazine relevante Themen behandeln. Meiner Meinung nach sind solche Vorurteile überholt. Das haben die Mehrzahl der Juroren genauso erlebt.

Hat dieses Gefühl des Abgehängtseins – in Ost- und West – etwas zu tun mit Abgehobenheit der sogenannten Qualitätsmedien nach der Wiedervereinigung?

Ich würde das sogar noch weiterdenken! Bei uns spalten sich immer mehr Milieus ab, bewegen sich nur noch in ihren Echokammern, beschäftigen sich dort nur mit sich selbst. Das ist einer der wesentlichen Gründe für die Achterbahnfahrt, auf der wir uns gegenwärtig gesellschaftlich befinden. Das Hauptproblem: Wir, die wir Medien machen, haben mehr Vertrauen in unsere Vorurteile, als in unsere Neugier. Das ist ein Grund für die Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus. Wir müssen rauskommen aus unseren Blasen.

Haltung zu zeigen, ist eine Chance für Medien – und Menschen. Was braucht der Journalismus ebenfalls?

Haltung ja – aber auch eine ehrliche, aufrichtige Offenheit. Wir müssen wieder aufgeschlossener werden und unsere eigene Einbetonierung aufbrechen. Wir müssen uns mit Menschen auseinandersetzen, die eine Meinung vertreten – auch wenn sie eben nicht die meine ist. Wenn andere spüren, dass man offen ist, hat man einen Hebel, um überzeugen zu können. Um klar zu machen, dass es wert ist für die Demokratie zu kämpfen. Dazu gehört immer ein gewissen Maß an Selbstkritik – aber das ist eine Fähigkeit, die wir Journalisten in den vergangenen Jahrzehnten nicht unbedingt gepflegt haben.

 

Sie haben tina, bella und Laura nach dem Launch der Magazine mal mit Tick, Trick und Track verglichen. Warum eigentlich? Tick, Trick und Track sind doch ziemlich clevere Pfadfinder vom Fähnlein Fieselschweif, die sich immer wieder aus schwierigen Situationen befreien, nicht zuletzt, weil sie ganz schön einfallsreich sind?

Als Tick, Trick und Track habe ich sie damals bezeichnet, weil die Titel alle ziemlich gleich aussahen. Stichwort: „Copy and Paste“. Da hat ein bestimmtes Print-Model funktioniert, das wurde inflationär kopiert, übrigens auch bei den Programmzeitschriften. Das „Copy and Paste“-Verfahren hat ganz wesentlich  zur Glaubwürdigkeitskrise und zum Relevanzverlust der Print-Medien beigetragen. Die Austauschbarkeit und Beliebigkeit haben massiv geschadet. Heute unterscheiden sich Tina, Bella und Laura voneinander durch jeweils eigene Redaktionsleitungen, geleitet und geführt von einem blattmacherischen Kopf, Sabine Ingwersen, in der Chefredaktion, die diese Nuancierungen und Unterschiede nicht nur zulässt, sondern auch versteht und beherrscht. Jedes der Blätter hat eine andere Leser-Ansprache und jedes der drei Magazine ist zielgruppengenau ausgerichtet. Das hat uns sehr beeindruckt, das hat die Jury hervorgehoben.

Markus Peichl ist der Sohn des österreichischen Architekten Gustav Peichl, der in sechs Bundesländern das gleiche ORF-Landesstudio gebaut und unter dem Pseudonym Ironimus über Jahrzehnte Karikaturen für die SZ gezeichnet hat. 1986 kam Peichl als Chefredakteur mit der Jugendzeitschrift Tempo heraus. Er erfand die Talkshow „0137“, mit der Roger Willemsen bekannt wurde, beriet Reinhold Beckmann bei dessen Talkshow und produzierte Werbefilme und Bücher. Mit seinem Freund Andreas Osarek betreibt er in Berlin eine Galerie mit Dependance in Wien und er ist Vorsitzender der LeadAcademy, die jährlich Zeitschriften und Werbekampagnen mit den Lead Awards auszeichnet. Foto @Max Stürmer

Noch etwas fällt auf: In der diesjährigen Haupt-Jury der Lead Awards sind nur vier von 24 Juroren Frauen. 34 nominierten Männern stehen lediglich sieben Frauen gegenüber. Was sagen die Zahlen über die Print-Branche aus? 

Kein Zweifel: Mehr Frauen täten der Printbranche sehr gut. Immerhin waren im letzten Jahr bei den Preisträgern, die Gold gewonnen haben, die Frauen in der Mehrzahl. Warten wir also mal ab, wie es am Ende ausschaut, nach den Preisverleihungen. Ich weiß nicht wie es ausgehen wird, ist ja alles unter Verschluss. Eines aber steht fest: Frauen sind mittlerweile an vielen Stellen im Journalismus oder in Verlagen die treibende Kraft. Sie verbinden oft eine Leidenschaft mit einem gewissen Maß an Pragmatismus – das ist eine sehr durchsetzungsstarke und erfolgreiche Kombination.

Sabine Ingwersen ist langjährige Chefredakteurin von tina, bella, Laura, Meins und Alles für die Frau. „Print muss es schaffen, Seite für Seite noch stärker zu beeindrucken und zu überraschen“, so Sabine Ingwersen. „Zeitschriften müssen das liefern, was das Internet eben nicht kann: Tiefe, Emotionen und Entschleunigung.“

Seit 1992 werden die Lead Awards von der Lead Academy für Medien vergeben. Eine Einreichung oder Bewerbung sind nicht möglich. Das Auswahl- und Vorschlagsrecht liegt allein bei der Lead Academy. Die sieben Gewinner des Vorjahres trafen aus der Gesamtheit aller 600 relevanten Magazin-und Zeitungstitel Deutschlands eine Vorauswahl. Aus diesen insgesamt 140 Kandidaten wählte die Hauptjury die Nominierten für die Shortlist.

In 2019 werden wie im Vorjahr Blattmacher in den Kategorien „Zeitung regional“, „Zeitung überregional“, „Magazin Debatte“, „Magazin Lifestyle“, „Magazin Popular“, „Magazin Independent“ und „Webleader für das besten Online-Magazin“ sowie der beste „Webleader Podcast“ gewürdigt. In der Kategorie Magazin Popular sind neben Chefredakteurin Sabine Ingwersen (tina, bella, Laura, Alles für die Frau und Meins) die Blattmacher Tom Drechsler (Auto Bild), Christian Hellmann (TV Digital, Hörzu, TV Direkt, Gong, Bild+Funk, Nur TV, Hörzu Wissen und Hörzu Gesundheit), Stefan Kobus (Super Illu und Guter Rat), (Heinz Landwehr (Finanztest) und Anita Stocker (Test) nominiert.

Mit dem Kopf der Lead Academy sprachen Kerstin Walker und der Journalist Andreas Wrede.